Körper und Tod

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03/04/24

Über Körper und Tod


Bevor ich mit 19 zum ersten Mal ein Praktikum bei einem Bestattungskollektiv machte, hatte ich keine offensichtlichen Berührungspunkte mit dem Tod. Ich hatte noch nie eine tote Person gesehen, bis auf den Fuß eines verstorbenen Strandbesuchers während eines Ostseeurlaubs. Was ist Lebendigkeit? Was passiert mit unserem Bewusstsein, nachdem wir gestorben sind? Vielleicht sind es diese existentiellen Fragen, die der uns alle verbindende Tod aufwirft, die mich so interessieren. Das lateinische Sprichwort „mortui vivos docent“, zu deutsch „die Toten lehren die Lebenden“, gilt als einer der Leitsätze der westlichen Medizin. Außerhalb der Medizin lehren uns die Toten aber vor allem, dass der Tod das Leben kostbarer macht und wie Trauer uns weiser werden lässt. Die aus dem Tod resultierende Generationsabfolge bestimmt, dass jede Generation Verantwortung für die nächste trägt.

Unser Körper verweist immer auch auf unsere Sterblichkeit und im Laufe eines Lebens durchläuft er große Veränderungen. Wie durchhaltefähig und begabt, aber auch wie verletzlich und anfällig für Krankheit wir als Individuen ebenso wie als sozialer Körper sind, erfahren wir tagtäglich. Und um schließlich festzustellen, ob ein Mensch tot ist, wird sein Körper auf bestimmte Merkmale hin untersucht, wie Totenflecken, Leichenstarre und Anzeichen der Verwesung. Den Körpern der Hinterbleibenden versetzt solch eine Verlusterfahrung einen heftigen Ruck und kann zum Beispiel Übelkeit, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Erschöpfung, Schlafstörungen oder Verdauungsprobleme hervorrufen. Denn wir empfinden heftige Emotionen und Gedanken meist zutiefst körperlich. So wie der Tod eines geliebten Menschen, kann auch der Verlust eines Zuhauses, eines Arbeitsplatzes oder von Gesundheit Trauerprozesse auslösen. Doch wie können wir nun einen Umgang mit der Trauer finden, der es uns ermöglicht, nicht an unserer Furcht, der Überforderung und unserem Schmerz zu verzweifeln? Nicht nur der Kontakt zu Freund*innen und Familie können dabei helfen, sondern auch Selbsthilfegruppen, Psychotherapie, oder eben Trauerbegleitung und Körperarbeit.

Trauerarbeit ist die bewusste Auseinandersetzung mit einem Verlust. Häufig ist in diesem Zusammenhang von Bewältigung und Hinwegkommen die Rede, ich möchte lieber von Integration des erlebten Verlusts in den Verlauf des Lebens sprechen. Trauerbegleiter*innen können während allen Phasen dieses Prozesses unterstützend zur Seite stehen, auch schon bevor eine konkrete Verlusterfahrung beginnt. Körperarbeit kann in der Trauerarbeit als nützliches Werkzeug eingesetzt werden. Es handelt sich dabei um somatische, häufig auch therapeutische Praktiken wie Shiatsu-Massage, Somatic Experiencing oder Unterricht in Alexander-Technik. Heute spricht man häufiger von Mind-Body-Medizin, da dieser Begriff Geist und Körper als untrennbare Einheit würdigt. Sie hilft uns, die Selbstbestimmung in Bezug zur eigenen Körperlichkeit, unsere mentale Stabilität, das Körperbewusstsein und unser gegenseitiges Miteinander zu stärken. Es kann ein großes Geschenk sein, wenn uns jemand ein Stück weit freundlich und fürsorglich auf unserem Trauerweg begleitet. Wenn uns jemand Raum gibt für all die unterschiedlichen Gefühle, die im Zusammenhang mit dem erlebten Verlust auftauchen, uns trösten und dabei helfen, Abschied zu nehmen, weiterzumachen und zu erinnern. Auch Zufluchtsorte sind wichtig, an die man sich vor äußeren Forderungen zurückziehen kann. Orte, an denen dem Bedürfnis der Einkehr und des Innehalten begegnet wird, wo Trauernde frei sind, sich vom Alltag zu entlasten.

Alexander-Technik lernte ich in einem Kurs an der Uni kennen, doch Körperarbeit war mir schon zuvor ein Begriff. Meine starke Skoliose führte dazu, dass ich mich seit meiner frühen Jugend intensiv mit meinem Körper beschäftigen muss. Seitdem ich vor gut einem Jahr die Ausbildung zur Lehrerin der Alexander-Technik anfing und somit gleichzeitig fast täglich selbst Unterricht in Alexander-Technik nehme, hat sich einiges verändert in meinem Leben. Auf einmal konnte ich ohne Rückenschmerzen joggen gehen und meine wöchentlichen Panikattacken, mit denen ich und meine Eltern etwa 15 Jahre lang zu kämpfen hatten, kommen inzwischen nur noch sehr selten vor. Ich kann eine lange Liste an Symptomen und Gewohnheiten aufzählen, die ich langsam loswerde. Ich kann eine ebenso lange Liste an Ressourcen aufzählen, die mir zur Verfügung standen und stehen, mit deren Hilfe ich diese Symptome und Gewohnheiten loswerden kann.

Heilung darf aber kein Luxus sein und obwohl körperliche Unversehrtheit ein Menschenrecht ist, ist der Zugang dazu nur wenigen Menschen gewährt. Zwar leben auf vielen Teilen unserer Erde die Menschen heute um einiges länger als noch vor ein paar Jahrzenten, das sagt jedoch erstmal noch nichts über die körperliche Unversehrtheit ebendieser Menschen aus. In einem System, das sich die Unsterblichkeit des Menschen auf die Fahne geschrieben hat, wird die Beschäftigung mit dem Tod zum Tabu. Auch verdrängt werden alle Menschen, denen diese Langlebigkeit nicht zuteilwird und die Konsequenzen, die sie und die Welt für das gute Leben der anderen tragen müssen. Wenn ich mich also aufmache, mit mir besser klarzukommen, dann auch, um dafür sorgen zu können, dass andere jetzt und in Zukunft gut leben und sterben können.

Körper- und Trauerarbeit sind dabei kein bloßes Mittel zum Zweck, sondern grundlegender Bestandteil des menschlichen Daseins. Sie sind weder Wellnessprogramm noch kurative Behandlung. Sie sind existentiell und nicht hier, um irgendetwas Gestörtes wiedergutzumachen oder um als Livestyle-Accessoire zu dienen. Diese Art von ganzheitlicher Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und der Trauer ist dem Menschlichen inhärent. Trotz dieser Inhärenz haben wir nicht automatisch eine Verbindung zu ihr. Mögliche Anknüpfungspunkte für die Suche nach dem persönlichen Zugang zu Körper- und Trauerarbeit möchte ich auf diesem Blog zur Verfügung stellen. Ich möchte meine Gedanken sammeln und teilen, um zu weiterer Recherche und Beschäftigung anzuregen und Perspektiven vermitteln, die auf dem Trauerweg unterstützen können. Zukünftig, sobald ich Alexander-Technik als Lehrerin unterrichte, möchte ich anonymisierte Fallbeispiele einbinden, die bestimmte Situationen und Entwicklungen näherbringen.












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